Am Abend des 9. November 2022 kamen mehr als 50 Anwohnerinnen und Anwohner in der Parchimer Allee zusammen, um an den 84. Jahrestag des antisemitischen Nazi-Pogroms zu erinnern.
Auch in der Hufeisensiedlung wurden in der Nacht vom 9. auf den 10. September 1938 Scheiben jüdischer Geschäfte eingeworfen und an und vor den Häusern jüdischer Bewohnerinnen und Bewohner Parolen und Nazi-Symbole geschmiert.
Diese antisemitischen Exzesse leiteten die Vertreibung und Ermordung von mehr als sechs Millionen europäische Juden in den folgenden Jahren ein.
Niemals darf dieses Verbrechen vergessen werden.
In dem abendlichen Gedenken standen drei Familien im Vordergrund, die in keinem Geschichtsbuch verzeichnet sind und die auch manchem der Anwesenden unbekannt waren.
An sie erinnerten Mitglieder von Hufeisern gegen Rechts mit kurzen Berichten und wiesen mit kleinen Schildern und auf den Bürgersteig mit Sprühkreide aufgetragenen Hinweisen auf deren Wohnorte hin.
Sie wohnten in den Häusern Parchimer Allee 75, 85k und 91.
Hier haben sie in der Zeit des Holocaust Jüdinnen vor ihren faschistischen Verfolgern versteckt und sie zusammen mit Freundinnen und Freunden versorgt.
In der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte haben Paul und Erika Seele, Rudolf und Anna Thal sowie Clemens und Ilse Seifert gemeinsam mit einigen Bekannten völlig unabhängig voneinander kleine Helfergruppen gebildet, die das Überleben von drei jüdischen Frauen ermöglicht hat.
Sie alle haben Menschlichkeit in einem unmenschlichen System gezeigt und zwar unter Inkaufnahme persönlicher Nachteile.
Persönliche Nachteile klingt so harmlos.
In Wirklichkeit war ihre Entscheidung, bedrohten Nachbarinnen und Nachbarn zu helfen, verbunden mit der Gefahr von Verhaftung und langjähriger Haft, mit der Schikanierung ihrer Kinder und Verwandten.
All dieses hat sie aber nicht von ihrer Solidarität mit den Diskriminierten und Verfolgten abgehalten.
Rückblickend müssen wir sagen: „Es waren zu wenige, viel zu wenige, die in der Zeit, in der die Feinde des Lebens an der Macht waren, gegen diese aufgestanden sind.”
Aber gerade sie verkörpern heutzutage mit ihrer Entschlossenheit in jener Zeit, in der die extremste Form einer undemokratischen, ja terroristischen Herrschaft in Deutschland existierte, das Vorbild für den Kern demokratischen Handelns, das Eintreten für eine demokratisch gesinnte Gesellschaft, in der das soziale und politische Miteinander auf Gleichberechtigung und gesicherter Achtung vor dem Anderen beruht.
An diesen mutigen Menschen, diesen stillen Helfern sollten wir uns orientieren, wenn es heutzutage darum geht, nicht zu schweigen oder wegzuschauen.
Anlässe gibt es genug, wie die Angriffe auf unsere jüdischen Nachbarinnen und Nachbarn in den letzten 12 Monaten sowie die antisemitischen und völkischen Aufkleber und Schmierereien in unserer Siedlung zeigen.
Umrahmt wurde das einstündige Gedenken mit zwei jiddischen Liedern, die zur nachdenklichen Stimmung dieses Abends beitrugen.